Das Alte Land ist Teil des Marschengürtels südlich der Niederelbe zwischen Hamburg und Cuxhaven. Mit dem Deichbau im 12. Jahrhundert entstand in diesen Marschen eine Siedlungs- und Kultur­landschaft, die sich in ihrer Eigenart deutlich von der auf den Geestgebieten zwischen Elbe und Weser unterscheidet. Dabei entwickelten sich aber auch gewisse Unterschiede zwischen den Marschenländern Altes Land, Land Kehdingen und Land Hadeln.

Entscheidend für diese eigentümliche Entwicklung war der Deichbau und das damit in enger Verbindung stehende Entwässerungssystem durch die Deiche hindurch zur Elbe hin bzw. zu deren Nebenflüssen. Mit diesem gemeinschaftlich bewerkstelligten und gemeinsam weiter entwickelten Deichbau und den ständig zu kontrollierenden Deichen ergab sich in den Marschenländern eine besondere Rechtsstellung und politische Organisation. Erst Anfang der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts wurden die letzten Reste der politischen Besonderheiten beseitigt, die Kulturlandschaft ist bis heute eine besondere geblieben.

 

 

Das alte Land im Mittelalter

 

Im Laufe von Jahrtausenden war seit dem Ende der letzten Eiszeit im breiten Urstromtal durch Hochwasser und Überschwemmungen der fruchtbare und schwere Marschboden, der Klei, entstanden. Parallel und nahe zur Elbe bildeten sich höhere, teilweise auch Sand enthaltende Ablagerungen, genannt das Hochland (z.B. Bassenfleth, Twielenfleth Grünendeich, Borstel). Daran schließt sich in einem breiteren Streifen zur Geest hin das niedriger, teilweise unterhalb des Meeresspiegels gelegene Land an, das Sietland: Hollern, Bachenbrock, Steinkirchen, Guderhandviertel, Mittelnkirchen, Neuenkirchen, Jork, Ladekop usw. Zwischen dem Sietland und der Geest bildete sich das feuchte, erst seit dem 20. Jahrhundert landwirtschaftlich genutzte, aber nach wie vor siedlungsfeindliche Geestrandmoor. Durch so genannte Achterdeiche schützten sich die Marschenbewohner gegen von dort aus vordringendes Wasser.

 

Bevor der Deichbau im Alten Land begann, siedelten bereits die von Karl dem Großen um 800 bekämpften und christianisierten Sachsen in kleinen Gruppen das Hochland an der Elbe. Da hoch auflaufende Sturmfluten seltener waren, konnte neben Fischfang sicher auch schon Ackerbau betrieben werden. Befahrbare Wege gab es nicht; der Verkehr wurde mit Booten bewerkstelligt: auf den Wettern und Sielen, den Nebenflüssen und der Elbe. Mit Booten musste man auch zur Kirche fahren. Für Taufen, Trauungen und Trauergottesdienste war für die erste Meile des Alten Landes die erzbischöfliche Wilhadikirche in Stade zuständig. Seit dem 12. Jahrhundert gab es allerdings nachweislich auch schon einige Kappellen und bald darauf eigenständige Pfarrkirchen.

 

Die Flut und auch die Hochwasser bei starkem Sturm liefen im frühen Mittelalter noch nicht so hoch auf wie heute, weil das Elbwasser sich auf mehrere Elbarme und bei Hochwasser auch im Sietland weit ausbreiten konnte. Dennoch kam es immer mal wieder zu Verlagerungen des Hauptlaufes der Elbe und zu Landverlusten. So verschwand z.B. der Ort Bardesfleth, der vor Grünendeich gelegen war, wo heute der Elbarm zwischen heutigem Deich und der Insel Lühesand verläuft.

 

Seit dem 11. Jahrhundert gab es aufgrund einer Klimaverbesserung in Deutschland bessere Ernten und als Folge einen Bevölkerungsanstieg, der wiederum zu einem Anwachsen der Zahl und der Größe städtischer Siedlungen beitrug, insbesondere im 12. /13. Jahrhundert. Die dadurch bedingte erhöhte Nachfrage nach agrarischen Erzeugnissen förderte den Ausbau der Ackerflächen (so genannte Binnenkolonisation und bald darauf auch Ostkolonisation bis über die Oder hinweg). Und zur Binnenkolonisation gehörte die Kolonisierung der fruchtbaren Marschengebiete an Weser und Elbe.

 

Nur war hier die Ausweitung der Ackerfläche nicht allein durch Roden von Wäldern zu erreichen wie anderswo. Ein kunstvolles Entwässerungssystem musste geschaffen werden und in einer gemeinsamen Kraftanstrengung mussten die Fluten mit Deichen von den Ackerflächen ferngehalten werden. Drei Voraussetzungen bzw. Personengruppen mussten da sein, um die Aufgaben zu bewältigen: Fachleute, Siedler und Herren, die bereit waren, das alles zu organisieren.

 

Die Fachleute holte man, d.h. die adligen Herren, aus den Niederlanden. Die historische Forschung hat herausgefunden, dass um 1113 die ersten holländischen Kolonisten, herbei gelockt durch den Erzbischof Friedrich von Bremen. Sie begannen die Hamme-Wümme-Niederung bei Bremen zu kolonisieren. Das Herbeilocken geschah in der Weise, dass sie bislang unbebautes Land zu freiem Eigentum erhielten und dass sie rechtlich besser gestellt wurden als sonst die Bauern im Erzbistum, d.h. im Elbe-Weser-Dreieck: Sie waren persönlich frei und hatten eine eigene mit holländischen Elementen angereicherte Gerichtsbarkeit. Außerdem haben sie schon früh (wohl noch im 12. Jahrhundert) Kirchen gebaut und eigene Kirchengemeinden gebildet.

 

Die holländischen Fachleute brachten ihr Wissen mit, wie in ihrer Heimat Marschenland einzudeichen und zu entwässern ist. Im noch ungenutzten Sietland des Alten Landes errichteten sie - wahrscheinlich mit sächsischen Helfern - Deiche zum Hochland hin und vermaßen von dort aus ca. 16 m breite parallele Streifen senkrecht zum Deich auf die Geest zu verlaufend. Die Hollerstraße in Hollern, wo die ersten Holländer sich als Bauern niederließen, gibt den Verlauf dieses niedrigen, aber damals ausreichenden Deiches wieder. 2,25 km lang waren die von der Hollerstraße aus rechts und links mit Gräben versehenen Streifen (oder auch „Stücke“). An deren Ende wurde eine rechtwinklig dazu verlaufende Landwettern ausgehoben sowie zum Geestrandmoor hin ein Achterdeich aufgeworfen. In Steinkirchen und Guderhandviertel und auf der anderen Seite der Lühe in Neuenkirchen und Mittelnkirchen wurde der neue Deich an der Lühe errichtet und von dort verliefen die Streifen nach Osten bzw. Westen, d.h. rechtwinklig zu denen in Hollern oder später in Jork und Ladekop. Das Prinzip der Errichtung von Poldern und des Entwässerungssystem blieb aber jeweils dasselbe.

 

Nur hieß Hollern damals noch nicht Hollern, sondern Ditterscop oder auch Ditkerskop. Und die oben genannten Orte an der Lühe hießen ursprünglich zusammengefasst „Lu“, gesprochen Lü. Mit „damals“ ist die Zeit der Kolonisation des Sietlandes im Alten Land gemeint. Diese begann um 1135 im später so genannten Hollern und wenige Jahre später auch westlich und östlich der Lühe. Die übrige zweite Meile des Alten Landes mit Jork und Ladekop und auch die dritte Meile sind erst in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts kultiviert worden.

 

Auch hier war der Bremer Erzbischof beteiligt, denn er hatte einen Bischofshof in Stade und hatte darüber hinaus Interesse daran, seine weltliche Macht im Stader Raum zu stärken. Landesherr im Alten Land waren aber die Grafen von Stade. Ursprünglich stammte diese aus Harsefeld, hatten ihren Sitz dort aber um 1000 in ein geistliches Stift und später in ein Benediktinerkloster umgewandelt. Auch dieses Kloster war an der Kolonisation beteiligt. Vor allem aber die Grafen unterstützten die Ansiedlung der Holländer mit Privilegien und sicherlich in den ersten Jahren auch mit Hilfen zum Lebensunterhalt. Einzelheiten sind aber leider nicht schriftlich überliefert. Nach dem Tod des letzten Stader Grafen im Jahr 1144 riss der Sachsenherzog Heinrich der Löwe den Besitz der Grafen an sich und er setzte die Unterstützung der Ansiedlung von Holländern im Alten Land fort. Schließlich bedeutete diese Ansiedlung von Menschen auf die Dauer gesehen für ihn mehr Abgaben und Zehnt-Zahlungen.

 

Die Altsiedler des Hochlandes direkt an der Elbe übernahmen gleichzeitig oder wenig später Deichbau und Entwässerungssystem von den Holländern. Sicherlich haben die Landesherren Druck ausgeübt, aber wahrscheinlich überwog dabei die Einsicht, dass man den Fluten gemeinsam trotzen sollte und dass die Ernteerträge sich so steigern ließen. Im Rechtswesen unterschieden die Altsiedler sich weiterhin von den Neusiedlern, aber mit der Zeit wuchsen beide Gruppen gesellschaftlich zur Landesgemeinschaft des Alten Landes zusammen. Die sächsische Sprache der Altsiedler setzte sich allgemein durch, weil neben den Holländern gewiss auch viele sächsische zweitgeborene Bauernsöhne im neuen Siedlungsgebiet Aufnahme zu finden suchten. Holländische Sprachelemente sind später im Altländer Platt recht selten.